Man darf doch nicht aus Wikipedia zitieren! Oder?

Welche Rolle Wikipedia beim wissenschaftlichen Arbeiten spielt

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Zu Beginn einer wissenschaftlichen Arbeit möchten Sie die Begriffe Ihrer gestellten Forschungsfrage definieren. Woher bekommen Sie eine korrekte Definition, falls der Begriff nicht als allgemein bekannt in Ihrem Fachbereich gilt?

Hier wird gerne auf ein Lexikon zurückgegriffen: gedruckt in der Hochschulbibliothek oder noch bequemer auf dessen Online-Ausgabe. „Der Brockhaus“ oder „Der Duden“ sind bekannte Enzyklopädien und Nachschlagewerke und in der Alltagssprache feste Institutionen. Je nach Fachbereich zählen weitere bekannte Werke dazu, beispielsweise „Der Pschyrembel“ in der Medizin.

Aber eignet sich für die gesuchte Definition auch „Die Wikipedia“ als Quelle?

Dank Wikipedia bleiben bei lebhaften Diskussionen unter Freunden keine Fragen unbeantwortet. Man schlägt schnell einen Fakt nach, über den man sich gerade gestritten hat. Da ist es nicht überraschend, dass Wikipedia zu den meistbesuchten Webseiten der Welt zählt. Aber eignet sich Wikipedia auch außerhalb von Alltagsfragen?

Ob bei wissenschaftlichen Arbeiten auch Wikipedia zitiert werden darf oder nicht, darüber scheiden sich die Geister. Jedenfalls beträgt die Anzahl an Artikeln zu wissenschaftlichen Themen in der englischsprachigen Wikipedia bis zu einer Million. Deren Inhalt dürfte doch für eigene wissenschaftliche Arbeiten als Quelle für eine Definition geeignet sein, oder?

Um eine Antwort auf diese Frage zu finden, erklären wir Ihnen die Unterschiede zwischen „traditionellen“ Enzyklopädien wie dem Brockhaus und der Online-Enzyklopädie Wikipedia. Wir helfen Ihnen bei der Bewertung der Artikel und wie Sie (unter Umständen) Wikipedia-Artikel zitieren.

 

Unterschied zwischen Wikipedia und klassischen Enzyklopädien

Autoren

Die Online-Enzyklopädie Wikipedia wird gemeinschaftlich von vielen Autoren verfasst. Praktisch jeder Mensch mit Internetzugang kann sich daran beteiligen. Die gemeinschaftliche Produktion von Wissen kann nicht einem bestimmten Autor zugeordnet werden. Unter der „Page history“ listet Wikipedia alle Autoren eines Artikels, jedoch nur Nicknames oder IP-Adressen und keine Namen. Gerade diese Anonymität gilt als unwissenschaftlich. Bei gedruckten Enzyklopädien hingegen lassen sich die Einträge meist einem bestimmten Autor zuordnen.


Redaktion

Spannend ist der Gedanke, aus welchem Personenkreis sich die Redaktion hinter einem Nachschlagewerk zusammensetzt. Man nimmt an, dass Experten diesem Werk nachgehen. Doch in früheren Zeiten, als es ausschließlich gedruckte Nachschlagewerke gab, waren nicht nur Experten mit der Produktion derer Inhalte beschäftigt.

Ist die Redaktion hinter einer gedruckten Enzyklopädie automatisch vertrauenswürdiger als die Redaktion hinter Wikipedia?

Denn auch bei Wikipedia gibt es Administratoren, die Artikel löschen dürfen. Es ist festgelegt, welche Grundprinzipen beim Verfassen von Wikipedia-Artikeln beachtet werden müssen. Wird gegen die Regeln verstoßen oder entspricht ein neuer Beitrag nicht den Anforderungen, wird ein Artikel gelöscht. Allerdings sind die wahren Namen der Redaktionsmitglieder wie die der Autoren unbekannt.


Aktualität

Der Vorteil von Online-Lexika ist, dass diese deutlich lebhafter und wandelbarer sind. Ein Artikel kann im Sekundentakt bearbeitet werden und ist somit stets aktuell. Allerdings kann sich dadurch auch seine Aussage völlig verändern. 


Stil

Die Texte der Einträge einer Online-Enzyklopädie sind deutlich angenehmer zu lesen. Die Form muss nicht mehr so abgehackt sein, wie das für den begrenzten Platz in gedruckten Werken nötig war. Manche Artikel können dadurch jedoch auch zu einem Roman ausarten.


Verfügbarkeit

Dass Wikipedia-Artikel schnell online abgerufen werden können, ist nicht mehr nur dieser Enzyklopädie vorbehalten. Auch von klassischen, gedruckten Enzyklopädien sind mittlerweile Online-Ausgaben die Regel. Es ist nicht mehr nötig, mehrere Regalmeter dicker Bände aufzubewahren.


Qualität

Ein entscheidendes Kriterium einer Enzyklopädie ist deren Qualität. Die Informationen der Enzyklopädie müssen verlässlich und korrekt sein. Hier haben traditionelle Lexika klar den Vorteil. Oder doch nicht?

Ein stichprobenartiger Test der Zeitschrift Stern im Jahr 2007 untersuchte 50 zufällig ausgewählte Artikel der Wikipedia und der Online-Ausgabe des Brockhaus. Bewertet wurden die Kriterien Richtigkeit, Vollständigkeit, Aktualität und Verständlichkeit. Wikipedia schloss dabei mit der Schulnote 1,7 eine Note besser ab als der Brockhaus. Ein weiteres Experiment von Journalisten der Zeitschrift Nature zeigte, dass wissenschaftliche Artikel aus Wikipedia nur gering mehr Fehler (4 Fehler) enthalten als Artikel der Encyclopaedia Britannica (3 Fehler). Eine aktuellere Studie von 2012 erachtet Wikipedia ebenso als zuverlässiger als die Encyclopaedia Britannica. Allerdings wurde diese Studie von der Wikimedia Foundation hinter Wikipedia in Auftrag gegeben.

 

Wikipedia-Artikel für wissenschaftliche Arbeiten nutzen und bewerten

Wikipedia ist nach unserer Meinung eine gute Quelle für den ersten Einstieg in ein neues Thema, mit welchem Sie sich für eine anstehende Arbeit länger beschäftigen werden. Der Artikel kann Ihnen dabei helfen, einen Überblick über ein Thema zu bekommen. Sie werden auf Fachbegriffe aufmerksam, und entdecken Bereiche des Themas, die Ihnen noch unbekannt waren.

Es ist wichtig zu wissen, wie Artikel in Wikipedia bewertet werden können:

  1. Sind Quellenangaben am Ende des Artikels vorhanden?
  2. Gibt es kritische Äußerungen in der Historie des Artikels?
  3. Finden Sie warnende Hinweise oder Auszeichnungen der Wikipedia-Administratoren oberhalb des Artikels?

Im Zweifelsfall werden Sie bei den Quellenangaben in Wikipedia Hinweise auf andere Texte finden, die für den Artikel zitiert wurden. Besorgen Sie sich die Originalquelle und lesen Sie die zitierte Aussage nach. Die können Sie dann auch direkt in Ihrer Arbeit zitieren. Den Weg zur Primärquelle, die Sie nicht ungesehen zitieren dürfen, haben wir in einem vorherigen Blog-Beitrag beschrieben.
 
Eine Studie von 2017 zeigt, dass Wikipedia tatsächlich ein guter Ideenlieferant ist. Neue Ideen in fachlich relevanten Wikipedia-Artikeln führen dazu, dass diese Ideen in wissenschaftlichen Arbeiten häufiger aufgegriffen werden. Auch die dort verlinkten Quellen wurden öfter aufgerufen. Wikipedia trägt damit dazu bei, dass die zitierten Quellen bekannter werden.

 

Dürfen Sie Wikipedia direkt zitieren?

In wissenschaftlichen Aufsätzen mit Peer-Review-Verfahren wird Wikipedia laut einer weiteren Studie von 2016 auch direkt als Quelle immer häufiger zitiert. Die Autoren sehen das als Zeichen dafür, dass sich die Akzeptanz von Wikipedia als verlässliche Quelle und damit deren Glaubwürdigkeit erhöht.

Bedeutet das nun, dass auch Sie Wikipedia in Ihrer Abschluss- oder Forschungsarbeit zitieren dürfen? Dieser Frage widmet sich ein eigener Artikel in Wikipedia. Die Antwort darin fällt deutlich aus: nein, man sollte Wikipedia nicht als verlässliche Quelle zitieren.

Auch wenn Sie Wikipedia nicht direkt zitieren möchten, könnten Sie die Daten mit dem Citavi Picker einfach aufnehmen. Der Picker sendet bei Wikipedia-Artikeln den Permalink des Artikels an das aktuell geöffnete Projekt. Statt z.B. https://en.wikipedia.org/wiki/APA_style also https://en.wikipedia.org/w/index.php?oldid=861434310. Unter dieser Adresse findet man auch noch Jahre später genau die Version des Artikels.

Möchten Sie Wikipedia als Quelle für eine Definition in Ihrer Arbeit verwenden, halten Sie am besten Rücksprache mit Ihrer Institution. Über eine Definition sollte Ihr Zitat jedoch nie hinausgehen – auch nicht bei traditionellen Lexikon-Artikeln. Denn ein Lexikon liefert nur Hintergrundinformationen, die aus anderen Quellen übernommen wurden. Die beste Strategie ist daher immer, die Originalquelle zu beschaffen und zu zitieren. 

 

Haben Sie in Ihrer Arbeit schon einmal Wikipedia als Quelle zitiert?
Schreiben Ihnen die Richtlinien Ihrer Hochschule vor, beim Zitieren davon abzusehen?
Wir sind gespannt auf Ihre Erfahrungen, die Sie uns gerne auf Facebook verraten können.

 

Zur Vertiefung

Loveland, Jeff; Reagle, Joseph (2013): Wikipedia and encyclopedic production. In: New Media & Society 15 (8), S. 1294–1311. DOI: 10.1177/1461444812470428.

Thompson, Neil; Hanley, Douglas (2017): Science Is Shaped by Wikipedia: Evidence from a Randomized Control Trial. In: SSRN Journal. DOI: 10.2139/ssrn.3039505.

 

Erstellt von: Jana Behrendt – Veröffentlicht am: 12.02.2019
Tags: Zitieren Recherche Erste Seminararbeit


Über Jana Behrendt

Jana Behrendt interessiert sich für alles rund um die persönliche Wissensorganisation – wie man es von einer studierten Bibliothekarin erwarten würde. Dafür liest sie in Ihrer Freizeit ziemlich wenig. Sie liebt es aber, in den Schweizer Bergen zu wandern – solange sie nicht nach unten schauen muss.

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